Kinderarbeit:
Ein System-Problem

Auch der Kakaosektor ist noch immer stark betroffen

Text:
Katharina Kuhlmann

Photography:
© Ecole Amitié
© istock, stevegeer
© Mayári Chúa Soto

1 Oktober 2021

Essen wir "billige" Schokolade, ist uns oft nicht bewusst, dass da in vielen Fällen tatsächlich ein echtes Stück Kinderarbeit in unserem Munde zergeht – die Süßigkeit bliebe uns im Hals stecken. Gerade im afrikanischen Kakaoanbau ist die ausbeuterische Arbeit Minderjähriger nach wie vor ein gravierendes Problem. Aber auch in anderen Bereichen ist es weltweit bisher nicht gelungen, Kinderarbeit effektiv zu bekämpfen. Im Gegenteil, die traurigen Zahlen steigen. Woran liegt das, wie kann Kinderarbeit bekämpft werden und welchen konkreten Beitrag leistet VIVANI?

160 Millionen Kinder weltweit müssen arbeiten

Die Zahl von 160 Millionen Kindern, die weltweit zur Arbeit gezwungen sind und werden, ist schier unfassbar. Und die Zahlen steigen immer mehr – in den letzten 4 Jahren kamen allein 8,4 Millionen Schicksale hinzu. Wir sprechen nicht von der freiwilligen Mithilfe im elterlichen Betrieb, bei denen Kinder z. B. bei leichten Erntetätigkeiten unterstützen. Gemeint ist hier ganz klar ausbeuterische Kinderarbeit, die Kinder von der Schulbildung abhält, die ganz und gar nicht freiwillig ist, die die Entwicklung und / oder Gesundheit der Kinder gefährdet, die unter Umständen sogar sehr gefährlich sein und schlimmstenfalls sogar in Formen von Sklaverei ausarten kann.

Von Kinderarbeit betroffene Länder liegen zum Großteil auf dem afrikanischen Kontinent unterhalb der Sahara, im sogenannten Subsahara-Afrika, sowie in Asien. Hier schuften Kinder vor allem in der Landwirtschaft, aber auch in Minen, in der Textilindustrie oder im Dienstleistungssektor. Sie verrichten Tätigkeiten, die mitunter auch sehr gefährlich sind, z. B. das Ausbringen von Pestiziden und die Arbeit in Steinbrüchen. Diese gesundheitsgefährdenden Arbeiten verrichtet jedes zwanzigste (!) Kind der Welt.

Warum müssen Kinder arbeiten?

Die Gründe, warum Kinderarbeit nur schwer zu bekämpfen ist, sind oft vielschichtig und liegen zumeist tief in den Sozialstrukturen der betroffenen Länder begründet, die mit starker Armut zu kämpfen haben. Hinzu kommen labile politische Verhältnisse, zum Teil in Begleitung bewaffneter Konflikte. Aber auch Urbanisierung und Globalisierung sowie der Klimawandel heizen die Situation zusätzlich an. Ein ganz neuer Faktor ist die Corona-Pandemie, die seit 2020 zusätzlich Öl ins Feuer gießt. Durch die Krise wurden etliche Existenzen zerstört und immer mehr Kinder dazu gezwungen, ihre Familien finanziell zu unterstützen. Dadurch befürchtet das Kinderhilfswerk Terre des hommes einen Anstieg der Kinderarbeit bis Ende 2022 um weitere 9 Millionen Mädchen und Jungen.

Hotspot Kinderarbeit: Kakaoanbau in Westafrika

Ist in Subsahara-Afrika die Kinderarbeit weltweit schon am höchsten ausgeprägt, befindet sich in Westafrika einer der traurigen Hotspots. In den Ländern Elfenbeinküste und Ghana, in denen der größte Anteil der weltweiten Kakaoernte erzeugt wird, arbeiten etwa 1,5 Millionen Kinder auf den Plantagen. Von diesen leben rund 10.000 in sklavenähnlichen Zuständen. Viele wurden aus ihren benachbarten Heimatländern verschleppt und werden unter Anwendung von Gewalt zur Arbeit gezwungen. Als wäre das nicht schon schlimm genug, handelt es sich bei vielen Tätigkeiten im Kakaosektor um gefährliche Arbeiten, von denen Folgeschäden für die Kinder ausgehen. Dazu zählen vor allem das ungeschützte Ausbringen von Pestiziden, die Arbeit mit messerscharfen Macheten und das Tragen von viel zu schweren Kakaosäcken.

Und die Aussichten stehen nicht gut in Westafrika. Während im Rest der Welt die Zahlen von Kinderarbeit stagnieren oder sogar rückläufig sind, hat sich die Zahl der in Afrika arbeitenden Kinder nach einem Rückgang bis auf 59 Millionen in 2012 im Verlauf der Jahre bis 2020 auf einen Wert von 86,6 Millionen hinaufgeschraubt, Tendenz steigend.

Gegenmaßnahmen: Industrie und Politik

Die Probleme sind riesig, daher gibt es seit vielen Jahren Versuche, der Lage Herr zu werden oder wirkungsvolle Maßnahmen zur Eindämmung zu finden. Die Zahlen beweisen, dass es bis dato leider noch nicht zu durchschlagenden Lösungen gekommen ist. Daher ist es wichtig, von möglichst vielen Seiten aus zu agieren.

Auf höchster Wirkungsebene stehen sicherlich Ansätze aus der betroffenen Großindustrie und der Politik. Nur wurde hier bisher fast so gut wie nichts erreicht. Beispielhaft für den Kakaosektor ist das Harkin-Engel-Protokoll zu negativer Bekanntheit gekommen. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Süßwarengiganten um Nestlè, Mars, Ferrero und Co. in Zusammenarbeit mit zwei US-Senatoren versprach, bis 2005 die schlimmsten Formen der Kinderarbeit in der Kakaoerzeugung zu beenden. Eine nachträgliche Aufweichung sah eine Reduzierung der Kinderarbeit bis 2020 um 70 % vor. Studien und Zahlen belegen nun aber, dass das Protokoll eindeutig gescheitert ist.

Eine politische Errungenschaft sollte auch das sogenannte Lieferkettengesetz werden, für das Aktivist*innen z. B. vom Netzwerk Inkota in Deutschland kämpften. Die transparente Aufdeckung von Arbeitsbedingungen und Produktionsverfahren entlang der gesamten Lieferkette soll hier Kinderarbeit sichtbar machen und verhindern. Im Juni 2021 wurde es überraschend doch noch verabschiedet, jedoch mit dem faden Beigeschmack der Inkonsequenz: Es gilt erst ab 2023 und zunächst nur für Betriebe mit über 3.000 Mitarbeiter*innen.

Gegenmaßnahmen: Siegel und Konsument*innen

Auf der mittleren und unteren Wirkungsebene im Kampf gegen Kinderarbeit im Kakaosektor stehen die einzelnen Hersteller sowie die Käufer*innen der Schokolade. Ein bewährtes Mittel, um gegenüber Kund*innen die faire Qualität der eigenen Produkte zu belegen, ist die Verwendung von Siegeln. Für diese zahlen Hersteller Gebühren, die in die jeweiligen Programme zur Verbesserung der Situation fließen. Diese Zertifizierungen haben unterschiedliche Schwerpunkte und werden als unterschiedlich gut von den Konsument*innen wahrgenommen. Der Vorreiter in Sachen Fairness ist zweifelsohne das Fairtrade-Siegel, gefolgt von anderen, kleineren Siegeln wie etwa GEPA fair +. Auch Zertifizierer wie Rainforest Alliance, die anfänglich primär landwirtschaftliche Ertragssteigerung förderten, haben mittlerweile den Schutz von Menschenrechten und die Verhinderung von Kinderarbeit deutlicher in den Fokus ihrer Programme gerückt.

Aber auch das Fairtrade-Siegel hat viele Kritiker, die das Prinzip des Mengenausgleichs bemängeln. Zudem unterstützt Fairtrade ausschließlich kleinbäuerliche Strukturen und bringt den Bäuerinnen und Bauern nur bedingte Prämien ein. Gleichsam schließt es jene Kakaoproduzent*innen aus, die sich entweder in größeren Kooperativen organisieren oder ihren Kakao nicht als Fairtrade-Kakao verkaufen dürfen, da sie selbst nicht für die Nutzung des Programms bezahlen möchten. Eine alternative (und bessere) Lösung zu Fairtrade ist das Prinzip des Direct Trade, bei dem Hersteller mit Rohstofferzeugern dauerhafte Lieferbeziehungen eingehen und die Zustände auch vor Ort kontrollieren und aktiv verbessern.

Zum Schluss kommen die Konsument*innen ins Spiel, die sich bewusst für faire Produkte entscheiden sollten. Dies kostet einen kleinen Betrag mehr, leistet aber einen riesigen Beitrag zur Änderung der Gesamtsystems, dessen Hamsterrad Kinderarbeit auch heute immer noch am Laufen hält. Zu diesem bewussten Konsum gehört auch das Prinzip „Klasse statt Masse“, denn: Wer weniger Schokolade konsumiert, hier aber auf soziale Bedingungen und Wertschätzung achtet, der hat am Ende nicht unbedingt mehr auf dem Kassenzettel.

Was unternimmt VIVANI gegen Kinderarbeit?

Als Schokoladenhersteller sind wir uns bei VIVANI unserer großen Verantwortung in Bezug auf die Problematik von Kinderarbeit im Kakaoanbau sehr bewusst. Seit 2010 ergreifen wir bereits Maßnahmen und fördern Projekte, die sich gegen die ausbeuterische und gefährliche Ausnutzung von Kindern richtet – auch wenn in den lateinamerikanischen Ländern, aus denen wir unseren Kakao beziehen, Kinderarbeit zum Glück ein wesentlich kleineres Problem darstellt, als beispielsweise in Afrika. Aber auch hier werden Kinder, wenn zumeist auch in anderen Bereichen, ausgebeutet und zum Teil sogar versklavt. Ein Beispiel dafür sind die Restavek, die rund 250.000 Kinder im Krisenstaat Haiti, die als moderne Haussklaven in reicheren Familien ihr Dasein fristen. Durch das Schulprojekt Ecole Amitié („Schule der Freundschaft“), das VIVANI seit nunmehr 10 Jahren mit vollem Herzen unterstützt, wird jährlich rund 800 Restavek-Kindern eine Grundbildung, Freizeitaktivitäten und eine Stärkung des Selbstbewusstseins ermöglicht. Ein zweites Projekt, das VIVANI  fördert, unterstützt gezielt Familien in den armen Bergregionen Haitis und legt hier in Zusammenarbeit mit der Kindernothilfe einen Grundstein, um ausbeuterische Kinderarbeit im Keim zu ersticken.

Im Hinblick auf Zertifizierungen verlassen wir uns nicht nur auf das Bio-Siegel, das ja zumindest den möglichen Umgang von Kindern mit Pestiziden ausschließt. Derzeit treiben wir unser erstes eigenes Direct Trade-Kakaoprojekt in der Dominikanischen Republik voran. Langfristige Handelsbeziehungen sollen die Lebensbedingungen von etwa 150 kakaoproduzierenden Familien in den östlichen Regionen des Inselstaates nachhaltig verbessern. Durch Professionalisierung im Ökolandbau werden Familieneinkommen erhöht und somit Zukunftsperspektiven geschaffen – ohne Kinderarbeit.

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