Eine Forschungsreise zum Ursprung des Kakaos in Ecuador, Teil 3

Einige Tage unter Kakaobauern...

Text:
Jelena Radeljić, Eduard Fischer

Photography:
Jelena Radeljić, Eduard Fischer

9 August 2016

In unserer Serie nehmen euch unsere Gastautoren Jelena und Eduard mit auf eine Forschungsreise in die Ursprünge des Kakaoanbaus in Ecuador. Ein spannender Abenteuer-Mix aus wunderschönen Naturerfahrungen, erschreckenden Erkenntnissen und dem hautnahen Erleben einer Naturkatastrophe. In Teil 3 fragen sich unsere Forscher, wie man bestehende Systeme im Kakaoanbau verbessern kann. Neben einer unglaublichen Gastfreundschaft erfahren sie auch von den Sorgen und Wünschen der ecuadorianischen Kakaobauern.

Teil 3 - Die Frage nach dem perfekten Kakaoanbau

Eduards Segeltrip (siehe Teil 2 unserer Reise) endete schließlich mit der Überquerung des Atlantiks auf Antigua. Von dort gab es einfach kein rechtzeitiges Wegkommen per Segelboot, sodass der letzte Teil mit dem Flieger bewältigt werden musste. Von Antigua nach Kolumbien und danach mit dem Bus nach Quito, in die Hauptstadt Ecuadors. Ich hingegen wählte den einfacheren Weg nach Ecuador: Mit dem Flugzeug. Aber weil das nicht gerade eine sehr umweltfreundliche Art zu Reisen ist, habe ich meinen durch den Flug verursachten CO2-Ausstoß bei Atmosfair (www.atmosfair.de) „kompensiert“. In Quito wartete Eduard bereits am Flughafen auf mich und eine Minute später saßen wir schon im lauten, knatternden Bus, der mit einer schwarzen Qualmwolke davon düste. Hallo Ecuador!

Während unseres Aufenthalts in Ecuador besuchten wir elf Kakao-Kooperativen, wohnten dabei meist bei Familien der Kakaobauern- und bäuerinnen und über die reine Forschung hinaus bauten wir zwischenmenschliche Beziehungen auf, die mit keinem Siegel dieser Welt messbar sind. Wir wollten wirklich verstehen, was die KakaoproduzentInnen sich für ihre Arbeit mit dem Kakao wünschen. Und wir wollten wissen, wie ökologisch Bio-Kakao eigentlich ist, ohne schon vorher mit einer Checkliste daherzukommen, um zu prüfen, ob sie unseren Wertevorstellungen und Standards „gerecht werden“.

Nachdem wir uns ein paar Tage in Quito organisiert haben, ging es los zur ersten Kakao-Kooperative an die Küste nach Esmeraldas, genauer gesagt nach Atacames. „Oh… Esmeraldas? Es un poco peligroso. ¡Cuídate!“, wurde uns mehrmals gesagt. Was bedeutet, dass wir dort besondere Vorsicht walten lassen sollten, denn wir fuhren in eine der ärmsten Provinzen Ecuadors. Dort angekommen, spürten wir gleich, dass wir nicht mehr im andinen Quito waren. Wir waren nun an der Küste, wo uns das schwüle Klima fast erschlug, als wir aus dem klimatisierten Bus stiegen. Hier also sollte irgendwo der besagte Kakao wachsen.

In Atacames ist die Kakao-Kooperative „APROCA“ und die dazugehörige Dachorganisation „UOPROCAE“ beheimatet. Die Namen klingen meistens so merkwürdig, da es Abkürzungen sind: UOPROCAE bedeutet „Unión de Organizaciones de Cacao Arriba Esmeraldas“. „APROCA“ hingegen „Asociación de Productores de Cacao Atacames“. Der letzte Buchstabe steht hier also immer für den Ort wo sich die Kooperative befindet.

Francisco, der Geschäftsführer von UOPROCAE, erwartete uns schon. Ich glaube die wirklich erste Frage nach dem üblichen „que tal?“ („wie geht’s“) war: „Habt ihr ökologischen Mückenschutz?“ Wir wunderten uns, dass er sich so um unsere Gesundheit sorgt, da er unsere Fläschchen penibel auf deren Inhalt prüfte. Doch dann stellte sich schnell heraus: Es geht um die Gefahr von Kontamination des Bio-Kakaos durch chemischen Mückenschutz. Wow, wir waren beeindruckt von so viel Vorsicht. Er drückte gleich jedem von uns ökologischen Mückenschutz in die Hand und dann konnten wir in Ruhe ankommen.

UOPROCAE dient als Dachorganisation für sechs Basis-Kooperativen, die in der Region von Esmeraldas verteilt sind. Innerhalb dieser Kooperativen sind die KakaoproduzentInnen organisiert. Diese sind quasi selbstständige Kleinbauern und -bäuerinnen (das heißt, sie haben ca. 1-10 ha Land) und verkaufen ihren Kakao an die Basiskooperative, zu welcher sie gehören. Über die Dachkooperative wird dann der Handel abgewickelt, Zertifizierungen auf dem neuesten Stand gehalten, Schulungen organisiert und so weiter. UOPROCAE ist zu 100% Fairtrade- und Bio-zertifiziert und einige ProduzentInnen haben auch Demeter-zertifizierten Kakao. Was wir jedoch an UOPROCAE besonders spannend fanden: Regenerativer Kakaoanbau. Denn dieser Ansatz geht sogar noch einen Schritt weiter als Fairtrade-und Bio-Anbau. Warum weiter? Ist Bio und Fairtrade nicht genug?

Vielleicht vorab: Wir möchten hier niemandem den Genuss an Schokolade verderben! Im Gegenteil. Und Fairtrade und Bio sind im aktuellen System häufig die besten Alternativen auf dem Markt, wenn es um ethischen Konsum geht. Aber es sollte eben noch einen Schritt weiter gehen. Wir kommen dann auch zu hoffnungsvollen Lösungsansätzen, versprochen!

Der Anteil an Fairtrade und Bio-Schokolade wächst und bis zum Jahr 2020 haben sich viele große Schokoladenhersteller zum Ziel gesetzt, nur noch zertifizierten Kakao zu kaufen. Und doch weist das Kakaobarometer 2015 darauf hin, dass der Großteil der KakaoproduzentInnen immer noch unterhalb der von der UNO definierten Armutsgrenze lebt. Ist es also egal, ob ich zertifizierte Schokolade kaufe oder nicht?

Diese Frage stellten wir auch George, der Kakaoproduzent bei UOPROCAE und Vertreter der Basiskooperative ‚Eco-Cacao‘ ist. Natürlich sei das nicht egal und im aktuellen System besser als konventioneller, unzertifizierter Kakao. Denn durch die Zertifizierungen habe sich die Organisationsstruktur der Kooperative wesentlich verbessert und durch den Anbau von Bio-Kakao werde die Umwelt weniger belastet und zerstört, die Bauern und Bäuerinnen kommen nicht mit Giftstoffen wie dem Totalherbizid Glyphosat in Kontakt und die Böden und Gewässer, von denen sie leben, werden geschont. Die Zertifizierungen stellen jedoch auch einen erhöhten Arbeitsaufwand für die Kooperative dar, der durch die Siegel-Prämien nicht ausreichend kompensiert werde. Außerdem seien ein wesentliches Problem die Zertifizierungskosten, die jährlich pauschal anfallen, unabhängig von der tatsächlichen Verkaufsmenge des zertifizierten Kakaos. Denn manche Kunden zahlen zwar den Aufpreis für das Bio-Zertifikat, haben aber kein Interesse an dem Fairtrade-Zertifikat. Eine Verbesserung wäre laut George, wenn beispielsweise die jährlichen Zertifizierungskosten abhängig von der tatsächlich verkauften Menge zertifizierten Kakaos berechnet werden würden.

Während unserer Reise stellten wir immer wieder fest, dass viele Kooperativen durch unbezahltes Engagement ihrer Mitglieder am Leben gehalten wurden, denn es mangelt an Geldern, um grundlegende Arbeiten zu entlohnen. Angel und Felipe zum Beispiel leben unter der Woche im Bürohaus der Kooperative, um Kakao der Mitglieder entgegenzunehmen und die Kooperative vor Einbrüchen zu bewachen.

Ihre Familien leben einfach aber idyllisch auf dem Land, sodass sie ihre Kinder und Ehefrauen nur am Wochenende sehen. Angel ist bereits über 70, aber dennoch leidenschaftlich und sehr agil in seiner Arbeit. Er lacht viel und auf den ersten Blick scheint es ihm nicht viel auszumachen. Aber abends, wenn wir zusammen in der provisorischen Küche kochten, erzählte er uns, wie prekär die Lage für ihn und die Kooperative sei, da es keine Finanzen in der Kooperative gibt, um jemanden für diese Stelle zu bezahlen.

Aus diesem Grund sind es häufig lokale und internationale Nichtregierungsorganisationen, die den Kooperativen helfen, Zertifizierungskosten zu bezahlen, oder Schulungen anzubieten. Da solche Projekte aber meist auf einige wenige Jahre begrenzt sind, verhilft das den Kooperativen nicht gerade zur Eigenständigkeit. Langfristige direkte Handelsbeziehungen mit Schokoladenunternehmen hingegen können es Kooperativen ermöglichen, auf eigenen Beinen zu stehen, wie es uns einige Beispiele später auf der Reise zeigen sollten.

Ein Tag bei der Kakaoernte mit dem Vater von Luis (Luis arbeitet in der Kooperative) hat mir gezeigt: Auweia, ist das anstrengend! Die Kakaobäume sind häufig in hügeliger Landschaft, sodass man mit seinen Gummistiefeln manchmal einige Meter im Matsch rutscht und aufpassen muss, nicht auf dem Hintern zu landen. Gut, mit „einigen Metern“ übertreibe ich hier natürlich etwas. Aber für Laien wie mich war allein das Herumlaufen auf der Plantage schon eine Herausforderung. Die Kakaofrüchte wurden mit der Machete vom Baum geschnitten, geöffnet und die vom weißen, schleimigen Fruchtfleisch (der pulpa) umgebenen Kakaobohnen in einen Eimer geleert. Umzingelt von Mücken, lutscht man während der Arbeit auch mal auf Kakaobohnen herum, die ganz und gar nicht an den Geschmack von Kakao oder Schokolade erinnern. Es ist ein fruchtiges, sauer-süßes Geschmackserlebnis, mich erinnert es ein kleines bisschen an Litschis. Verschwitzt und ein wenig zerstochen ging ein Erntetag zu ende. „Respekt vor den Kakaobauern, die das ständig machen“ war mein letzter Gedanke, bevor ich in einen tiefen erholsamen Schlaf fiel.

Einen Tag half ich dabei, Setzlinge für neue Kakaobäume zu pflanzen. Dies war eine Gemeinschaftsaktion der Jugendorganisation von UOPROCAE. Die Jugendorganisation besteht aus 15-25-jährigen Jugendlichen und soll der Kooperative helfen, auch in Zukunft KakaoproduzentInnen zu haben. Denn auch hier in Ecuador zeigt sich der globale Trend, dass die große Mehrheit der heutigen KakaoproduzentInnen um die 50 Jahre alt ist und die nächste Generation lieber in Städte abwandert um dort Geld zu verdienen – denn in Ecuador z.B. gibt es bei einem Anstellungsverhältnis immerhin einen gesetzlichen Mindestlohn, der einem selbstständigen Kleinbauern nicht garantiert ist.

Um den Kakaoanbau für Mensch und Natur fairer zu gestalten, arbeitet die Kooperative UOPROCAE am sogenannten ‘regenerativen Kakaoanbau‘. Mit dem Projekt ‚Cacao regenerativo‘ haben sich einige Mitglieder der Kooperative zur Grundlage gemacht, Kakaoanbau ganzheitlich zu betrachten und der Essenz von Kakao näher zu kommen: Eine aus dem Amazonas Ecuadors stammende Pflanze, die ursprünglich in einem diversen und intakten Ökosystem wuchs und in vielen alten Kulturen Lateinamerikas von höchst kultureller Bedeutung war.

Inspiriert von Permakultur-Prinzipien stehen ökologische und soziale Gesundheit hier an oberster Stelle. Das heißt unter anderem, dass beim Anbau nicht nur auf chemische Pflanzenschutzmittel verzichtet wird, wie es im Bio-Anbau der Standard ist, sondern der Kakao in einem artenreichen Ökosystem angebaut wird und früher abgeholzte Flächen wieder aufgeforstet werden. Im Vordergrund stehen Humusaufbau und die Stärkung und Wiederbelebung von Artenvielfalt, um intakte und widerstandsfähige Waldökosysteme zu schaffen. Das macht die empfindlichen Kakaobäume im Vergleich zu Monokulturen resistenter gegen Schädlinge, lässt den Boden ordentlich CO2 speichern und wirkt sich auch sozial-ökonomisch positiv auf die ProduzentInnen aus: denn durch den Anbau von Nahrungsmitteln wie Papaya, Bananen, Avocados, diversen Zitrusfrüchten und anderen Pflanzen sind die ProduzentInnen resilienter gegenüber Marktschwankungen des Kakaopreises und schlechten Ernten. In Kürze: Regeneration bedeutet Heilung und Erneuerung von geschädigten oder ungesunden Ökosystemen.

Zentrum dieses progressiven Projekts ist der Ort Caimito, ein wunderschönes kleines Kakaoparadies an der Küste von Esmeraldas. Hier lebt Fabiola, die mit Herzblut an einem besseren Leben für die Gemeinde arbeitet – und das durch regenerativen Kakaoanbau und Ökotourismus . Denn dieser Ort lockt Interessierte aus aller Welt an, die erfahren wollen, was „regenerativer Kakaoanbau“ bedeutet und was vielleicht nächste Schritte nach dem aktuellen Standards von Bio und Fairtrade sein könnten. Die Kakaoplantagen hier erinnerten auf den ersten Blick ganz und gar nicht an Plantagen, sondern eher an eine typischen Tropenwald. Hier mussten wir unseren Weg durch verschiedenstes Gestrüpp suchen, wobei einem Fabiola laufend die Pflanzen erklärte – von medizinischen Heilkräutern bis zu Kochbananen. Während ich versuchte ihr zuzuhören und dabei nicht auszurutschen oder von Ästen erschlagen zu werden, befand sich Eduard in weiter Ferne hinten dran und machte GPS-Aufnahmen und Fotos für unsere Ökosystemanalyse, die wir in den meisten Fincas machten.

Ja, die Datenerhebung war nicht immer einfach, da wir nach solchen Wanderungen entweder bei Familien, wie der von Ademir wohnten, wo wir umzingelt von Kindern versuchten, das Gelernte vom Tag irgendwie niederzuschreiben… und ab und an auch mal aufgaben und lieber Ukulele mit den Kindern spielten oder Salsa tanzten. Ja, die Kids zeigten uns, wie das geht. Oder aber wir befanden uns gerade auf dem Weg von einem Ort zum nächsten und arbeiteten auch mal auf der Ladefläche eines LKWs.

Duschen gab’s dann auch nicht immer, oft war es eine Regentonne, aus der man sich zum Beispiel mit einem Bauarbeiterhelm Wasser über den Kopf schüttete, während Ameisen am Fuß hoch krochen und ich die Worte meines Tropenarztes verbannen musste, nicht in stehenden Gewässern zu baden, da dort Mücken ihre Larven legen. Eine Regentonne würde ich als stehendes Gewässer bezeichnen, aber naja, ich hatte keine Wahl. Ich fühlte mich zumindest frischer danach! Und Eduard erinnerte mich immer wieder auf dieser Reise an unseren außergewöhnlichen Daseinsgrund: Fast als ob er es sich selbst in Erinnerung rufen müsste, wiederholte er immer wieder mit einem breiten Grinsen im Gesicht „Wir sind Forscher in Ecuador“!

Die Reise war hier noch lange nicht zu Ende. Wir besuchten noch weitere Kooperativen und Projekte in entlegenen Teilen des ecuadorianischen Regenwaldes, wo eine Kakao-Kooperative unter anderem daran arbeitet, die vom Aussterben bedrohten Klammeraffen (engl. „spider monkeys“) zu schützen. Und wir fuhren nach Tena im Amazonasbecken, wo eine von Frauen dominierte Kooperative den Erhalt der nativen Kichwa-Kultur durch Kakaoanbau zu schützen versucht. Und dann besuchten wir noch Carlos, den Präsidenten einer Kooperative, die nicht Bio und nicht Fairtrade zertifiziert ist. Nicht, weil er es so will, sondern weil die Kooperative skrupellosen Zwischenhändlern ausgeliefert ist. Was das bedeutet, berichten wir im nächsten und wohl letzten Blogeintrag unserer Ecuador-Reise. Mit Carlos und seinem 16-jährigen Sohn Gabriel erlebten wir auch das 7,8 starke Erdbeben, das Ecuador am Abend des 16. April schwer erschüttern ließ, mehr als 750 Menschen das Leben nahm und vielen weiteren Menschen ihr Zuhause zerstörte.

Davon, und auch von dem was wir daraus gelernt haben, berichten wir beim nächsten Mal.

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