Im Kakaowald

Beobachtungen und Augenblicke...

Text:
Alexander Kuhlmann

Photography:
© Alexander Kuhlmann

8 Oktober 2020

Ein Mittwoch im September. Es ist schwül-heiß, bestimmt über 40°C. Ich stehe auf einem Hügel und blicke auf einen breiten Waldgürtel der Region Duarte – der grünen Lunge der nord-östlichen Dominikanischen Republik. Die Luft ist fiebrig, das Licht grell. Es surrt monoton. Vorne. Hinten. Oben. Unten. Ein schneller, gezielter Schlag. Fremdes Blut auf der Haut. Nein, an den beständigen Schweißfilm und die Hartnäckigkeit der dominikanischen Moskitos werden ich mich in diesem Leben wohl nicht mehr gewöhnen.

Cesar kaut schmunzelnd auf einem Stück Tabak herum, das er schon seit heut früh in seinen Backentaschen versteckt hält und beizeiten zu Tage fördert. Er deutet den Abhang hinunter auf ein schwarzes Loch. „Komm, lass uns ein wenig Abkühlung verschaffen“. Er führt mich in seinen Kakaowald. Cesar ist Farmer und bewirtschaftet rund 3 Hektar Land, das er vor 2 Jahren von seinem Vater übernommen hat. Mit stolzer Brust und geübten Schritten gleitet er wie eine Bergziege den Abhang hinunter und erwartet mich an der Pforte seines „kleinen Paradieschens“, wie er das Waldstück liebevoll nennt. Ich trete ein und spüre ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit in mir, den brennenden Lichtspitzen der Sonne für einen Moment entgehen zu können. So dicht legen sich die großen Blätter der Kakaobäume übereinander, dass es plötzlich ganz dunkel und still ist. Einige Atemzüge innehalten. Man möchte kein unnötiges Geräusch machen, um die sakrale Ruhe nicht zu brechen. Ein feuchter, leicht gegorener Duft hat sich unter dem Blätterdach breit gemacht. Ja, wir sind in einem richtigen Wald. So riecht es in keiner sterilen Monokultur, die es hierzulande leider auch gibt. Bunte Artenvielfalt bezeugen die zahlreichen Bananenstauden, Avocado- und Mangobäume, die sich ihren Platz zwischen den Kakaobäumen erobert haben.

Cesar führt mich über fauliges Laub und allerlei Geäst ins Herz seines „Paradieschens“ zu einem großen Kakaobaum. Er ist höher als die anderen und wohl der älteste Baum dieses Waldes. Früchte schenkt er Cesar nicht mehr viele, das machen nun die umliegenden Bäume. Sie alle sind wesentlich kleiner, nur knappe 4 Meter in der Höhe. „Kleingehalten“ erklärt Cesar. „Das erleichtert uns die Ernte“. Das glaube ich ihm auf’s Wort. Denn mit einer Machete in der Hand erst einmal 10 bis 15 Meter in die Höhe zu kraxeln, das ist mit Sicherheit kein Zuckerschlecken. Da sich der Dominikaner jederzeit zu helfen weiß, sei man irgendwann auf die Idee gekommen…

Cesar streckt mir seine Machete entgegen. Noch bevor ich mich ergeben kann, deutet Cesar auf eine Kakaofrucht auf Brusthöhe neben mir. „Probier es mal“. Jetzt verstehe ich. Heroisch versuche ich, die Frucht mit einem Schlag vom Stamm zu holen. Ich scheitere. Cesar zeigt mir, wie es gemacht wird und einen Moment später liegt eine große tiefdunkelrote Frucht gespalten vor uns. Nun erst einmal am Fruchtfleisch erfrischen. Die sogenannte „Pulpe“ schmeckt wirklich lecker, leicht fruchtig und enthält viel Flüssigkeit. Genau das Richtige, an so einem Tag wie heute. Aus den Fasern der Pulpe fördert Cesar darauf einige Kakaobohnen zu Tage. „Bester Trinitario. Gar nicht mal so häufig in dieser Region“ zeigt er sich sichtlich stolz auf den besonderen Edelkakao – eine Kreuzung aus der High-End-Sorte Criollo und dem „Konsumkakao“ Forastero.

Als Cesar von dem komplexen Spektrum seines Kakaos zu Philosophieren beginnt, fallen mir wieder die Bäume und Stauden um mich herum ins Auge. Mangos, Bananen – sie alle spielen eine wesentliche Rolle bei der Ausbildung des Geschmacksprofils. Ihr verrottendes Fallobst schwängert den Boden mit ureigenen Aromen, die der Kakaobaum beim Wachsen wie ein Schwamm in sich aufsaugt. Als Whiskyliebhaber war ich mir bereits der unzähligen Parameter bewusst, die den Geschmack des bernsteinernen „Lebenswassers“ beeinflussen und ausprägen können. Aber dass es so etwas auch beim Kakaoanbau gibt – das war mir wirklich neu.

Zu dieser besonderen Rolle des Bodens will so gar nicht passen, dass Cesar seltsame Bröckchen eines vermeintlichen Rattengifts im Unterholz verteilt. Meine irritierten Blicke bleiben nicht unbemerkt. Entwarnung. Dieses „Rattengift“ wird tatsächlich völlig ökologisch hergestellt – aus pulverisierten Avocado-Kernen, geriebener Kokosnuss und Salz. „Funktioniert totsicher“, macht mir Cesars Frau Maria Virgen weis, die gerade zu uns stößt. Sie leitet die „Giftküche“ in der Hacienda am westlichen Ausläufer des Kakaowaldes. Auf die Frage, ob sie auch ökologische Mittel gegen die unzähligen kleinen Quälgeister in der Luft für mich habe, lacht Cesar laut. Er ist der Meinung, dass man sich die Mücken unbedingt zum Freund machen müsse, da manch eine Gattung doch gerade der Grund dafür sei, warum hier Kakaobäume gedeihen. Moment mal. Mücken in kakaobäuerlicher Mission? Ich kann nicht folgen… Nach einem detaillierten Exkurs, von dem ich maximal die Hälfte verstanden habe, bin ich mal wieder schlauer. Tatsächlich sind es klitzekleine Unterholz-Gnitzen, welchen es als wenigen ihrer Zunft gelingt in die schmalen Blütenköpfe des Kakaobaums einzudringen und somit die wichtige Bestäubungsarbeit sicherzustellen. Todbringender Mückenschutz auf unserer Haut wäre an dieser Stelle tatsächlich geschäftsschädigend. Das sehe ich ein.

Wir schlendern weiter durch’s Unterholz. An einer lichten Stelle im Wald greift Cesar mich am Arm und zieht mich zur Seite. „Du wärst beinahe auf meine Setzlinge getrampelt“, tadelt er mich. Da ich bislang nicht wusste, wie es um die Optik eines Erdnussstrauchs beschaffen ist, wäre ich fast fahrlässig hindurchgestapft. Erdnüsse baut er also auch an, der gute Cesar. Wenn auch im kleinen Stil…  Das macht mich natürlich neugierig. Ich will wissen, wie Cesar seinen Kakaowald aufforstet. Alte Bäume sterben, Neue gedeihen. Aber wo und wie? Cesar verspricht, mit mir gleich noch zur „Baumschule“ der Kooperative zu fahren. Zuvor zeigt er mir aber, was in Eigenarbeit geleistet werden kann. Er deutet auf einen zarten Zweig, der nicht so recht zum eigentlichen Baum hinzugehören will. „Den haben wir gepfropft“. Was bedeutet das? Cesar erklärt, dass sich durch diese Veredelungsmethode altersschwache Bäume wieder in ihrem Ertrag steigern lassen. Gesunde, produktive Äste werden hierfür einfach in den eingeritzten Stamm eines unproduktiven Baumes gesetzt und mit Bändern fixiert. Eine Plastiktüte, die über den neuen Ast gestülpt wird, speichert die nötige Feuchtigkeit, die beim Andocken wichtig ist. Das alles haben ihm die „Kakaotechniker“ seiner Kooperative APCOC (kurz für „Association of producers of organic cacao of Castillo“) gelehrt. Sie kommen in einigermaßen regelmäßigen Abständen vorbei und geben hilfreiche Tipps.

Einige hundert Meter entfernt baut sich die grashüpfergrüne Fassade der Hacienda vor uns auf. Auf dem Weg dorthin summt und brummt es wieder ordentlich. Allerdings kräftiger als im Kakaowald oder auf den umliegenden Hügeln. Aha, Bienen. Die Passion von Maria Virgen, die sich seit guten 4 Jahren der Hobby-Imkerei verschrieben hat. 25 himmelblaue Bienenkästen tummeln sich im Schatten der Avocadobäume. Die „Herrin der Bienen“ winkt mir von der Veranda aus zu. Sie hat Kaffee gekocht – nicht nur für mich, sondern eine ganze Truppe an durstigen Männern, die es sich im Außenbereich gemütlich gemacht haben. Freunde, Helfer, Familie. Man trifft sich. Man redet gerne. Und die Moskitos auf den Hügeln, sie surren bis in die Nacht und warten darauf, uns allen einen Besuch abzustatten.

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