Eine Forschungsreise zum Ursprung des Kakaos in Ecuador, Teil 2
Per Anhalter über den Atlantik
Text:
Eduard Fischer
Photography:
Eduard Fischer
13 Juli 2016
In unserer Serie nehmen euch unsere Gastautoren Jelena und Eduard mit auf eine Forschungsreise in die Ursprünge des Kakaoanbaus in Ecuador. Ein spannender Abenteuer-Mix aus wunderschönen Naturerfahrungen, erschreckenden Erkenntnissen und dem hautnahen Erleben einer Naturkatastrophe. In Teil 2 erfahrt ihr, wie Eduard das Unmögliche möglich machte und CO2-arm über den Atlantik gelangte...
Teil 2 - Ein bärtiger Anhalter mit Papierhut: Wie Ede nach Ecuador kam
Wäre die Menge des durch den gesamten Flugverkehr ausgestoßenen CO2s einem bestimmten Land zuzuschreiben, wäre dieses Land international auf Rang sechs der Weltmeisterländer für Treibhausgasemissionen. Diese Sache ging mir nicht aus dem Kopf, es fiel mir schwer die geplante Forschungsarbeit in Ecuador – rund 10.000 km Luftlinie von Berlin entfernt – anzugehen und dieses Dilemma auszublenden. Ich wollte nicht fliegen. Einmal wegen des Klimas und des Weiteren wegen der fehlenden Romantik. Ich entschied mich eine Alternative zu suchen…
Monatelang bereitete ich mich darauf vor, den langen Weg auf einem Segelschiff zu bestreiten. Diverse Foren und Online-Inserate, dem „Hang gegen Koje“-Prinzip entsprechend, schrieb ich voll, um die erhoffte Mitsegelgelegenheit zu finden. „Hast du schon ein Boot gefunden?“, wurde ich stetig gefragt. Leider musste ich dies bis zum Tag meiner Abreise in Eberswalde immer verneinen. Keine vorherige Zusage, keine Garantie mitgenommen zu werden. Nichtsdestotrotz (Duden definiert „Trotz“: hartnäckiger [eigensinniger] Widerstand gegen eine Autorität aus dem Gefühl heraus, im Recht zu sein) hatte ich das Gefühl, dass es bestimmt klappt, wenn ich in am Hafen stehe und mit den SeglerInnen direkt in Kontakt komme.
Im November war es dann soweit. Noch eben kurz bei „Hitchwiki“ geschaut, wo man sich als Anhalter am besten in Berlin postiert, um Richtung Portugal „loszutrampen“ und auf ging‘s. Der erste Tag brachte mich nach Köln, der zweite schon nach Troyes in Frankreich, der dritte nach San Sebastian in Spanien, dann Madrid, Sevilla… und Lagos in Portugal erreichte ich bereits nach einer Woche. Übernachtungen organisierte ich über Couchsurfing. Dabei handelt es sich um eine Online-Plattform für Reisende, die es mir ermöglichte, bei Einheimischen zu übernachten und so ein möglichst authentisches Reiseerlebnis zu bekommen.
In Südportugal angekommen, hieß es dann, sich in der Marina umzuhören, um ja keine Möglichkeit in Richtung Madeira oder Kanarische Inseln zu verpassen. Das ein oder andere Bier in der Hafenkneipe in Lagos ergab gute Gespräche und Tipps und Tricks für’s Mitsegeln, aber leider keine konkrete Mitsegelgelegenheit. Erst nachdem ich in einer Nacht- und Nebelaktion sämtliche Eingänge der Marina mit Flugblättern beklebt hatte, kam die erste Rückmeldung: In der Marina Portimao lag eine X99 Rennyacht, auf der noch Crewmitglieder gesucht wurden. „Wow, ich werde tatsächlich per Anhalter lossegeln!“, dachte ich mir.
Den richtigen Wind abgewartet, verbrachte ich dann vier lange Segeltage, weniger oder mehr frei von Segelkrankheit, auf dem Segler. Hartes am Wind Segeln und die kleine Yacht machten mir wirklich zu schaffen, aber auf einem Segler der selben Größenordnung machte ich meine ersten Erfahrungen auf der Ostsee. Schließlich kamen wir auf Porto Santo, einer Insel bei Madeira, an. „So und nun, wie geht’s jetzt weiter?!“ Die Jagd auf eine Mitsegelgelegenheit begann von neuem.
Die kleine Rennyacht brachte mich dann noch weiter bis nach Funchal auf die eigentliche Insel Madeira. Die gesamte Insel war mit weihnachtlichen Lichterketten behangen. Ja, es war bereits kurz vor Heiligabend. Ich war schon gut einen Monat unterwegs und Ecuador und der Kakao waren noch immer eine ganze Atlantik-Überquerung entfernt. Ja, so eine Mitsegelei ist mit viel Suchen und Warten auf den richtigen Wind verbunden. Zudem haben Segler einfach eine andere Zeitwahrnehmung, alles lebt und plant sich sehr viel langsamer, wenn man nicht gerade im Wettbewerb segelt. Man bewegt sich zum Rhythmus der Natur, die Sonne scheint, es regnet, der Wind muss richtig stehen. Das nennt man wohl „Entschleunigung“.
In der Marina Funchal traf ich zwar ein paar Schweizer die Richtung Kanaren wollten, aber sie entschieden sich gegen mich. Ein wenig verzweifelt versuchte ich es bei den ankommenden Kreuzfahrtschiffen. Jedoch sprach dies nicht nur gegen meine Vorstellung der Segelei, sondern gab es dort auch kein Herankommen an den Kapitän. Mir wurde lediglich eine Broschüre des Kreuzfahrt-Angebots in die Hand gedrückt.
Nach einigen Versuchen fand sich dann doch die nächste Möglichkeit meinem noch so fernen Ziel ein Stückchen näher zu kommen. Es gab ein Boot, was mich nach La Palma, „La Isla bonita“ mitnahm. Im Hafen von Tazacorte auf La Palma wieder dasselbe Spiel: Hafengänge und Gespräche mit SkippernInnen, Flugblätter, Updates der Foren im Web und stetig erneute Ungewissheit und ganz viel Hoffnung. „Nun bin ich bereits bis hierhin gekommen, ich kann jetzt nicht einfach losfliegen oder umkehren!“, sprach ich mir Mut zu.
Wunderbare Weihnachtstage verbrachte ich auf einem Zirkusboot. Denn die Segelfamilie, die mich mit hier her nahm, gestaltete ihr Einkommen durch Veranstaltungen eines „Stummen Theaters“ mit selbstgedrehten Kurzfilmen, in denen die vierjährige Tochter und der zweijährige Sohn auch gerne mal spontane und entzückende Hauptrollen einnahmen. Jedoch fehlte immer noch die große Überfahrt. Der Atlantik mit seinem stetigen Ostwind wartete schon auf geballte Segel, die mich einen großen Schritt weiter Richtung Südamerika bringen sollten. Eine erfolglose Woche an demselben Ort sprach dafür, dass die Marina wohl nicht von Seglern angesteuert wird, die Richtung Karibik oder Brasilien wollen. Ein Ortswechsel musste her. Ich machte mich über Land auf nach Santa Cruz de la Palma, welches auf der anderen Seite der Insel liegt. Hier wimmelte es von Kreuzfahrtgästen, die wie Heuschrecken über die Stadt herfielen. Es wurden Souvenirs erstanden, die Sehenswürdigkeiten abgelichtet und noch schnell die lokalen Speisen verkostet – und alles, im besten Falle ohne Sonnenbrand. Die Marina ist ein beliebter Halt für die schwimmenden Hotels, die wie Ebbe und Flut kommen und gehen. Zwischen diesem Getümmel huschte ich, einer von der Sonne gezeichneter und mittlerweile sehr bärtiger Segelsuchender mit Papierhut, hinter die Absperrungen zu den Segelbooten und begann hier und dort zu klopfen und seine Geschichte immer wieder von neuem zu erzählen: „Wunderschönen guten Tag. Wohin segeln Sie? Ich habe Segel-Erfahrung und würde Ihnen gerne als Hand auf Deck aushelfen, die Nachtschichten übernehmen und … ja, kochen kann ich auch sehr gut!“
Bingo! Schließlich ging alles sehr schnell und es ergaben sich sogar zwei Möglichkeiten. Eine in Richtung Kap Verde und dann Richtung Karibik und eine direkt in Richtung Karibik. Ich entschied mich für den direkten Weg. Eine deutsche Crew war bereit, mich als erweitertes Crewmitglied mitzunehmen. „Unglaublich, es hat wirklich geklappt. Ich werde den Atlantik per Anhalter überqueren!“, freute ich mich und sah mich schon am karibischen Strand liegen. Es sollte nach Antigua und Barbuda gehen, einem Inselstaat, einer ehemaligen Kolonie von Großbritannien. Silvester noch in San Sebastian auf La Gomera verbracht, die Bordküche mit den notwendigen lagerfähigen Lebensmitteln ausgestattet, dann konnte es losgehen. „Übermorgen stehen die Winde gut!“, teilte der Skipper mit.
Die eigentliche Übersetzung begann. Die gesamte Crew war aufgeregt. Die Manöver wurden nochmals wiederholt. Die notwendigen Knoten geübt und alle waren sich im Klaren darüber, dass wir die nächsten drei Wochen auf See verbringen werden. Die anfängliche Euphorie wurde jedoch durch unbeständigen Wind gemildert. Wir machten zu wenig Knoten und kamen schlecht voran. Die erste Nacht begann und wir waren bereits alle erschöpft, hungrig und unroutiniert. Während der Dunkelheit hörte man nur noch das „Knallen“ des Vorsegels, das wie eine geviertelte Orangenschale vorne am Schiff bei schwachem Wind in sich zusammenfiel und dann wieder schlagartig von starken Winden auf ballte. Wie ein Peitschen in der Nacht, dessen Stoß man im gesamten Schiff spüren konnte. Im sehr zermürbenden Halbschlaf lag ich in meiner Rettungsweste da und hörte den Skipper plötzlich sprechen: „Schneide es durch!“ Schneiden? So ein Manöver klang seltsam und ich entschied mich, einen Blick ins Cockpit zu werfen. Nach meiner Frage, ob alles in Ordnung sei, dann die Ernüchterung: „Wir haben einen Toten!“ Hörte ich und mir rutschte das Herz in die Badehose. Dies war kein Seglerjargon. „Es hat das Vorsegel zerlegt!“, sprach der Skipper mit ruhiger Stimme und leuchte zum Heck ins Wasser. Dort sah ich dann unser Vorsegel, den Blister, hinter uns her treiben, was uns sehr verlangsamte. Ein Peitschenschlag war dann doch zu stark gewesen und die Verbindung zum Mast riss. Nach einer kurzen Orientierung sah ich die Unfallstelle. Ich griff zu meiner Kopflampe, schnallte mich an die Rettungsleine fest und schaukelte nach vorne zum Bug. Ich sah das gesamte Segel, welches wir im Wasser hinter uns herzogen und machte mich daran, es aus dem Wasser zu ziehen. Nach viel Schnaufen und Fluchen hatte ich es an Deck geholt und fiel hundemüde zurück in die Koje. Dieses Problem und eine eintretende Flaute zwang uns nach einer Woche Halt auf Kap Verde zu machen, wo wir erneut eine Woche verbrachten.
Jedoch ist dies nicht nur eine Segelgeschichte. Das Ziel und der Grund der Reise war Ecuador. Es war der Kakao. Und die Fragen zu Beginn. Ich befand mich nun auf dem Seeweg Richtung Zentralamerika und Karibik. Vor ein paar hundert Jahren nahmen auch die ersten Kakaobohnen, in umgekehrter Richtung, diesen Weg. Jedoch gibt es auch heute noch Unternehmen, die ihre Kakaoprodukte mit Seglern nach Europa liefern (siehe Granada Chocolate). Jedoch ist der Transport nur ein kleiner Teil unserer Forschungsfrage: Wie können wir Kakaohandelssysteme schaffen, die tatsächlich der wahren Essenz von Kakao gerecht werden? Dem Samen des Kakaobaums, der in den Regenwäldern Ecuadors seinen Ursprung hat, eine tiefe kulturelle Rolle in vielen lateinamerikanische Völkern einnahm und dem wir heute den Genuss von Schokolade zu verdanken haben.
Auch wenn dieser Eintrag in der Ich-Perspektive geschrieben wurde, war ich nicht alleine unterwegs. Eine Freundin hatte mich von Eberswalde bis nach Ecuador begleitet. Ihr habe ich neben viel Motivation und Spanischunterricht auch die fantastische Mitsegelgelegenheit von den Kanaren bis nach Antigua und Barbuda zu verdanken.
Wie die Reise im gelobten Land des Edelkakaos für uns weiterging, verraten wir euch im nächsten Teil unserer abenteuerlichen Kakao-Expedition…
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