Das Schlaraffenland
Süßes in wundersamen Geschichten
Text:
Katharina Kuhlmann
Photography:
© iStock, egal
4 November 2021
Schokolade ist für viele Menschen eine Köstlichkeit, die weit über den Genuss von Zucker, Kakao und Milch in unserem Mund hinausgeht. Sie ist ein faszinierendes Produkt, das sich immer neu gestalten lässt und uns geradezu verzaubert. Und da Magisches seit jeher einen festen Platz im Reich der Märchen hat, haben wir diesen Erzählungen mal auf den Süßen Zahn gefühlt. Wenn es auch kein reines Schokoladenmärchen gibt (was unser Themenmonat ändern wird), so begegnen wir doch dem Traum vom Süßen in Gestalt des Schlaraffenlandes. Wir blicken für euch in das verrückteste Land aller Zeiten und erklären euch eines der Urgesteine der Literaturgeschichte.
Das Motiv vom Schlaraffenland
Das Schlaraffenland ist ein seltsamer Ort. Im allgemeinen wird er in der Literatur so beschrieben: Hier fließen Bäche aus Milch und Honig, gebratenes Geflügel fliegt uns direkt in den Mund, wenn wir mögen, die Gebirge sind aus Pudding und Brei, die Häuser aus Kuchen und werden von Bratwurstzäunen umstanden, gebratene Tierchen hüpfen essbereit zwischen Käsesteinen umher und an den Bäumen wachsen Süßigkeiten. Wer nun an ein modernes Märchen á la Charlie und die Schokoladenfabrik denkt, wird sich gehörig wundern, entstanden doch erste Ideen zu diesem Land schon in der griechischen Antike im 5. Jhr. v. Chr. Richtig aktuell wurde der Stoff im Mittelalter, in dem in vielen Ländern Geschichten rund um diese seltsame Wunderwelt entstanden. Ein literarisches Motiv – ein immer wieder aufgegriffener Geschichtenbaustein – war geboren.
Das Wort Schlaraffenland stammt übrigens aus dem Mittelhochdeutschen und ist ein Zusammenschluss der beiden Begriffe slûr (Faulpelz) und affe (Narr). Das Schimpfwort slûraffen, das durch Sprachveränderungen zu Schlaraffen wurde, bezog sich dabei auf die ganz und gar ungewöhnlichen Bewohner dieses Landes.
Das Schlaraffenland als Utopie
Nicht nur Geschichtenfans werden bei den Erzählungen über das Schlaraffenland aufgehorcht haben. Der Traum, in solch einer Welt zu leben, war zugleich auch eine willkommene Utopie in einer Welt, die von Mangelernährung und Hunger geprägt war. Und noch weitere Eigenschaften des fiktiven Landes werden die Menschen damals fasziniert haben. Nicht nur konnte man nach Herzenslust schlemmen, auch war das Arbeiten im Schlaraffenland strengstens verboten und Müßiggang wurde belohnt. Und wer alt und gebrechlich wurde, konnte sich bequem im Jungbrunnen regenerieren. Eine ungeheuerlich verlockende Vorstellung in den harten Zeiten des Mittelalters, bei der nur übermäßige und harte Arbeit das Überleben auf niedrigem Standard sichern konnte.
Aus der Literatur nicht wegzudenken
Ob in der Literatur oder auch in der Kunst – einmal da, war die Fiktion vom Schlaraffenland nicht mehr wegzudenken. Bis heute gibt es immer wieder Neuerscheinungen, die das alte Motiv aufgreifen und bewusst und zumeist kritisch mit ihm spielen. Die Faszination an diesem Land des Überflusses hat nicht abgenommen und wird aus unserer heutigen Perspektive zumeist als lustiger Erzählstoff wahrgenommen.
Es gibt auch andere Märchen, in denen ebenfalls Essenswunder vorkommen. Man denke nur an das Knusperhäuschen in „Hänsel und Gretel“, das direkt aus dem Schlaraffenland zu stammen scheint. Auch der Zaubertisch aus dem Märchen „Tischlein deck dich“ geht in die gleiche Richtung und tischt auf Befehl herzhaft auf. Da Märchen und Sagen im Mittelalter mündlich überliefert wurden, ist es gut denkbar, dass die eine oder andere Idee hier vom Schlaraffenland-Motiv entlehnt wurde.
Schlaraffenland heute?
Unsere westliche Welt des Überflusses suggeriert uns heute mehr denn je die Utopie vom Schlaraffenland. Überall gibt es tolle Süßwaren wie Schokolade zum günstigen Aktionspreis. Wer will, muss einfach nur die Hand ausstrecken, um sich eine eifrig beworbene Packung zu greifen, die garantiert Lachen auf Kindergesichter zaubert. Doch leider stellt sich hinter den Märchen der Industrie oftmals eine bittere Realität heraus, in der die Natur ausgebeutet wird und Menschen wieder unter den gleichen Bedingungen schuften müssen, wie einst die Zuhörer der Schlaraffenland-Geschichten im Mittelalter. Das traurige Strichwort lautet speziell im Bereich der Kakaoindustrie Kinderarbeit – erfahrt hier mehr zum Thema.
So scheint heute wie früher das Schlaraffenland nur ein Märchen zu bleiben. Das Leben in Überfluss, Müßiggang und ewiger Jugend bleibt bestenfalls Utopie, wenn es sich nicht gar als Lüge herausstellt. Vielmehr sollte man auf ein vernünftiges Maß in puncto Süßwarenkonsum setzen, selbst wenn man sich Überfluss leisten kann. Denn die eigene Gesundheit, die Natur und die Menschen, die weltweit Rohstoffe für Süßwaren und Schokolade anbauen, werden es uns danken.
Verwandte Artikel
The Chocolate Journal